23.10.2019

Brexiety

Brexiety – Wort des Tages – EVS Translations
Brexiety – Wort des Tages – EVS Translations

Im fünfzehnten Jahrhundert schrieb der Priester, Gelehrte, Humanist und Philosoph der italienischen Renaissance Marsilio Ficino Folgendes in einem Brief: „Ich weiß in diesen Zeiten sozusagen gar nicht, was ich will, vielleicht auch will ich gar nicht, was ich weiß, und will, was ich nicht weiß.“ Wenn es jemals ein Zitat gab, das den derzeitigen Stand der Brexit-Verhandlungen definiert, dann könnte es dieses sein.

Einige Hardliner im britischen Parlament wünschen sich einen glatten Bruch mit der EU. Einige Softliner im Parlament möchten – wenn überhaupt – einen weichen Bruch mit der EU. Dagegen weiß ein erheblicher Teil der gemäßigten Abgeordneten nicht wirklich, was er will; ihnen gefallen jedoch die Pläne der zwei extremen Flügel nicht. Unterdessen erleben die Menschen und Unternehmen, unabhängig davon, welche politische Einstellung sie haben oder auf welcher Seite des Ärmelkanals sie sich befinden, die Folgen des politischen Stillstands. Die wunderbare Vielseitigkeit und Kreativität der englischen Sprache zeigt sich in unserem heutigen Wort des Tages Brexiety, einem Portmanteau (Kofferwort) eines Portmanteau, das eine Manifestation dieser Folgen ist.

Das heutige Wort des Tages ist eine Kombination aus Brexit und Anxiety und es soll die Ängste ausdrücken, die viele Brexit-Gegner oder – angesichts des politischen Klimas – auch Brexit-Befürworter im Zuge der Ergebnisse des Referendums verspüren.

Fast 3,5 Jahre nach dem britischen Referendum zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union kennt fast jeder den Begriff Brexit, der ein Portmanteau oder eine sprachliche Verschmelzung der Wörter British und Exit ist. Erstmalig wurde er von Peter Wildingam am 15. Mai 2012 in einem Blogeintrag auf blogactiv.eu mit dem Titel: „Stumbling towards the Brexit: Britain, a referendum and an ever-closer reckoning“ verwendet. Zu diesem Verständnis wurde der Begriff Anxiety hinzugefügt, was „die Sorge über etwas mit einem ungewissen Ausgang“ ist. Erstmalig wurde dieser Begriff in einer Übersetzung des christlichen Andachtsbuches De Imitatione Christi (Nachfolge Christi) von Thomas a Kempis verwendet: „No anxiety, blissful joyousness, sweet company and pleasant to behold.“

Obwohl für Brexit eine spezifische Herkunft festgestellt werden kann, ist dies bei Brexiety leider nicht der Fall. Man kann jedoch mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Begriff kurz nach dem Ergebnis des Referendums entstanden und somit nicht älter als 4 Jahre alt ist.

Die Herkunft des Begriffes mag zwar unbekannt sein, die Auswirkungen hinter dem Begriff sind jedoch allgemein bekannt. Der heutige Begriff geht weit über eine Bezeichnung für Personen hinaus, die sich einen anderen Ausgang des Referendums gewünscht hätten (auch als Remoaner bezeichnet, ein weiterer Brexit-Begriff) und wurde zunächst für den/die rechtlichen und wirtschaftlichen Stress/Ängste verwendet, die Entitäten mit einer eindeutigen Verbindung mit dem Vereinigten Königreich und der EU in einer „Grauzone“ erlebten, wie z. B. EU-Bürger, die seit langer Zeit im Vereinigten Königreich leben und ihren rechtlichen Status nicht kennen, sowie kleine und mittlere Unternehmen, die in Kontinentaleuropa und im Vereinigten Königreich geschäftlich tätig sind und nicht wissen, welche Vorschriften sie befolgen sollen.

Bedauerlicherweise scheint Brexiety aufgrund des Fehlens einer praktikablen Vereinbarung zwischen beiden Seiten, der Unentschlossenheit im Parlament und der Effekthascherei in den Medien zu- anstatt abzunehmen. Für Unternehmen im Vereinigten Königreich führt die Ungewissheit über das Fehlen eines Plans zu Sorgen über Zollsätze und kontinentale Lieferketten. Das führt dazu, dass Unternehmen kein Geld ausgeben oder investieren, was leicht den Ausschlag für das Einsetzen einer Rezession geben kann. Was in der Vergangenheit nur als Problem für eine kleine Minderheit von im Vereinigten Königreich oder in der EU lebenden Expats angesehen wurde, ist nun zu einer komplexen Alles-oder-Nichts-Angelegenheit geworden. Nun scheint es aussichtslos, dass sich eine absolute Mehrheit auf jeden Aspekt einigen kann, was zu Spaltung und Misstrauen führt. Es scheint also so, als ob es für alle ausreichend Grund zur Besorgnis gibt.

Das heutige Wort des Tages ist also wohl oder übel etwas, womit alle Seiten in absehbarer Zukunft zu tun haben werden.