02.03.2020

Classic Blue

Classic Blue – Wort des Tages – EVS Translations
Classic Blue – Wort des Tages – EVS Translations

Der Klang der Musik von B.B. King, das Leuchten des Himmels in der Abenddämmerung oder das Gefühl im Angesicht der Trümmer einer langjährigen Beziehung – Classic Blue ist eine symbolträchtige Farbe und nun kommt noch ein Attribut hinzu: Der Blauton, nämlich 19‑4052, darf sich fortan mit dem Titel Pantone Color of the Year 2020 schmücken. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wählt Pantone in einem Prozess sorgfältiger Überlegungen und Trendanalysen eine Farbe des Jahres aus, der ein maßgeblicher Einfluss auf die Produktentwicklung, das Grafikdesign und die Produktverpackung in Bereichen wie der Modebranche, dem Industriedesign und der Inneneinrichtungsbranche prophezeit wird. Der Argumentation von Pantone zufolge verkörpert Classic Blue unser Bedürfnis nach Ruhe, Verlässlichkeit, Harmonie, Fokus, Beständigkeit und Geborgenheit in einer Zeit, in der diese Werte unserem alltäglichen Erleben diametral gegenüberzustehen scheinen, in der alles in einem überstürzten, tiefgreifenden, schwer zu fassenden Umbruch begriffen zu sein scheint. Diese Erläuterung bietet zwar eine Erklärung dafür, weshalb Classic Blue in Amerika und Europa die beliebteste Farbe ist, lassen Sie uns den Begriff, seine Schattierungen und seine Verwendung dennoch etwas genauer betrachten.

Wenn es darum geht, die Farbe in ihre Bestandteile zu zerlegen, liefert uns die Wissenschaft eine klare Antwort: Die Farbe Blau ist Licht mit einer dominierenden Wellenlänge von etwa 450 bis 495 nm und einer Frequenz von 606–668 THz. Für einen PC ist sie schlicht und ergreifend #0000FF. Die Farbe Classic Blue ist wohl in etwa in der Mitte dieser Bänder anzuordnen. Der zweiteilige Begriff beschreibt etymologisch gesehen ein typisches, reines, „echtes“ Blau. Das englische Wort classic geht auf das lateinische classicus (die erste Bürgerklasse betreffend, erstrangig) zurück und wurde in dieser Bedeutung erstmals in Robert Cawdreys A Table Alphabeticall von 1604 verwendet. Das beschreibende Farbwort blue tauchte um 1300 in der Geschichte Childhood Jesus zum ersten Mal auf, die Carl Horstmann in seiner Ausgabe der Altenglischen Legenden von 1875 zitiert: „This one shall be fair blue cloth, this other green“ („Dieses sei von schönem blauem Tuche, dieses andere von grünem“). Ins Englische gelangt war blue wie seine Varianten (z. B. blew, bliu, blu und blwe) über das altfranzösische blew, bleu, das wiederum auf die protogermanische Bezeichnung eines klaren Himmels, blæwaz, zurückgeht.

Im Verhältnis zu anderen Grundfarben wie Rot, Braun oder Schwarz ist Blau ein relativer Newcomer. Die Farbe Blau ist in der Natur nur selten zu finden und auch in Färbemitteln und Pigmenten schwer nachzubilden. Über weite Strecken ihrer über 6000-jährigen Geschichte galt sie deshalb als ein ebenso geheimnisvolles wie teures Gut. Sie schien so schwer zu fassen, dass es in altgriechischen Werken wie den Heldengedichten von Homer nicht einmal ein Wort für sie gab. Einige Wissenschaftlicher vertreten sogar die Ansicht, dass sich die Fähigkeit unserer Augen, die Farbe zu sehen und wahrzunehmen, erst vor relativ kurzer Zeit herausgebildet hat. Bekannt ist in jedem Falle, dass die ersten blauen Färbemittel aus Pflanzen wie Waid und Indigo hergestellt wurden, während für Pigmente gemahlener Azurit oder Lapislazuli aus Minen in Afghanistan verwendet wurde. Angesichts der hohen Kosten, die Herstellung und Transport verschlangen, dauerte es nicht lange, bis Alternativen entwickelt wurden: Bereits 2500 v. Chr. begannen die alten Ägypter, Quarz, Kalk, Kupfer und Alkalien zu mahlen und zu erhitzen und daraus das erste synthetische blaue Pigment zu erzeugen. Mit steigender Bekanntheit des Verfahrens gelangte die Farbe bald auch nach Persien und Rom und viele Jahrhunderte später dank der Entscheidung der katholischen Kirche im Jahr 431 v. Chr., den Heiligen Farben zuzuordnen, in Form des blauen Gewands der Heiligen Jungfrau Maria schließlich auch in das Abendland.

Einige der Eigenschaften, die wir mit der Farbe Blau verbinden, sind somit auf deren engen Bezug zur Jungfrau Maria zurückzuführen, so z. B. Werte wie Unschuld und Vertrauenswürdigkeit (daher stammt auch der englische Ausdruck „true blue“, der in den 1630er Jahren aufkam und eine treue, loyale Person beschreibt). Doch auch andere Quellen und der tägliche Sprachgebrauch haben unsere Assoziationen zu der Farbe Blau beeinflusst. So kann beispielsweise der Zusammenhang zwischen dem Blauen und dem Göttlichen auf den ägyptischen Gott Amun zurückverfolgt werden, der seine Haut blau werden lassen konnte, um ungesehen vor dem blauen Himmel dahinfliegen zu können. Die bloße Tatsache wiederum, dass sich nur mächtige Organisationen und Personen die kostspieligen Färbemittel und Pigmente leisten konnten, um Gegenstände blau einzufärben, sorgte dafür, dass die Farbe mit Beständigkeit, Tugend und Weisheit verbunden wurde.

Neben diesen vielen positiven Attributen verbinden manche Menschen je nach ihrer persönlichen Erfahrung auch Negatives mit der Farbe. Die Farbe gilt als verhältnismäßig „kalt“ (im Gegensatz zu „wärmeren“ Farben) und erinnert an blaue Flecken, mangelnde Durchblutung und Krankheit, sodass sie auch mit Traurigkeit, Melancholie und Anstößigkeit verbunden wird. Das früheste Beispiel für eine Verwendung des Wortes in dieser Bedeutung findet sich um 1450 in der englischen Übersetzung eines Artus-Gedichts von Robert de Borron durch Henry Lovelich, The History of the Holy Grail, in der es heißt: „Her hearts both blue and black they were…for her friends deaths“ („Voller Trübsal [blau und schwarz] waren ihre Herzen […] angesichts ihrer Freunde Tod“). Grobe oder anstößige Sprache oder Situationen wurden im Englischen erstmals von John Milford (unter dem Pseudonym Alfred Burton) in seinem Gedicht The Adventures of Johnny Newcome in the Navy aus dem Jahr 1818 als „blue“ bezeichnet. Vervollständigt wird die gefühlvolle Komposition unserer Farbe zu guter Letzt durch die Bezeichnung der Musikrichtung, die der wunderbare B.B. King geprägt hat. Der Begriff Blues geht vermutlich auf einen englischen Ausdruck aus dem 17. Jahrhundert zurück („the blue devils“ – die blauen Teufel), der durch schweren Alkoholentzug verursachte Halluzinationen beschreibt. Eingeführt wird die mehrdeutige Bezeichnung des Musikstils, der nicht zuletzt den Gemütszustand, den er lindert, in seinem Namen trägt, in einem Artikel der Chicago Tribune vom 11. Juli 1915: „That is what ‘blue’ music is doing for everybody—taking away what its name implies, the blues”.

Es ist durchaus passend, dass die Farbe Blau in frühen hinduistischen Traditionen mit dem Hals-Chakra in Verbindung gebracht wird, dem Ausdrucks- und Kommunikationszentrum. Welche Farbe könnte schließlich sonst so viele unterschiedliche Gefühle, Zusammenhänge und Ausdrücke verkörpern? Sie ist traurig und doch hoffnungsvoll, rein und doch anstößig, kraftvoll und ruhig. Mit anderen Worten: Sie ist die perfekte Farbe für 2020.