10.09.2015

Derwisch

Tanzender Derwisch – Wort des Tages - EVS Translations
Tanzender Derwisch – Wort des Tages – EVS Translations

Für die meisten von uns ist die Chance auf Erleuchtung durch Tanzen wahrscheinlich nur nach beträchtlichem Alkoholkonsum gegeben, und das auf jeden Fall bevor wir uns überhaupt auf die Tanzfläche wagen. Und im Rausch wären dann unsere Bewegungen alles andere als harmonisch. Bei den Sufis (Anhänger der innerlichen mystischen Dimension des Islam, des Sufismus) – ist die Bewegung des Körpers im Rhythmus einer bestimmten Musik der Weg zu einem Zustand vollkommener Harmonie der inneren und äußeren Welten, mit anderen Worten, eine Art spirituelle Trunkenheit.

Der Sufismus könnte Gegenstand eines eigenen Beitrags sein, denn heute wollen wir uns einmal nur mit dem Sufi-Orden der Derwische beschäftigen. Die Bezeichnung Derwisch leitet sich von dem persischen Wort darvish, „Bettler, Armer“, auch „Bettelmönch“, „Asket“ ab, denn die Derwische leben ein asketisches Leben und viele von ihnen haben ein Armutsgelübde abgelegt. Und die tanzenden Derwische sind einfach ein Orden unter vielen.

Die Geschichte der tanzenden Derwische leitet sich von dem im 13. Jahrhundert von dem Sohn und den Anhängern des Sufi-Theologen Rumi gegründeten Mevlevi-Orden ab. Rumi glaubte leidenschaftlich an Musik, Poesie und Tanz als Weg zu Gott. Der Orden der Tanzenden Derwische wurde in Konya (in der heutigen Türkei) gegründet, wo Rumi die meiste Zeit seines Lebens verbrachte und wo man ihn gelegentlich in ekstatischer Verzücktheit in den Straßen herumwirbeln sah. Dieser Ort, an dem der Geist und Körper Rumis bewahrt werden (im Mevlana-Mausoleum befinden sich die Gräber Rumis und seiner Familie, seiner Nachfahren und Dutzender Mevlevi-Scheichs, den Leitern des Ordens) ist ein Muss für jeden Sufismus-Interessierten.

Die Sema-Zeremonie (vom arabischen sama zum türkischen sema, „zuhören“) – die Ausübung des Wirbeltanzes als eine Form des Gedenkens an Gott, wurde von der UNESCO zu einem der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Kulturerbes der Menschheit erklärt. Aber das geschah erst 2005, 90 Jahre nachdem die türkische Regierung ein Gesetz verabschiedete, das den Sufi-Orden auflöste und die Zeremonien der Derwische verbannte, die seit 1950 nur einmal jährlich in Konya während des im Dezember stattfindenden Mevlevi-Festivals ausgeübt werden durften. Vor 40 Jahren reisten die Derwische erstmals in den Westen und faszinierten uns mit ihrem mystischen Glauben und ihren Tanzzeremonien.

Tanzende Derwische

In längst vergangenen Zeiten waren Reiseberichte für die westliche Welt die einzige Möglichkeit, etwas von der Existenz der Derwische zu erfahren. Der englische Leser las das Wort dervish zum ersten Mal 1585, in den von Thomas Washington ins Englische übersetzten türkischen Reisebeschreibungen von Nicholas Nicholais Daulphinois. Daulphinois, ein Adeliger aus Arfeuilles, Kammerherr und Geograph des Königs von Frankreich, bezeichnete die Derwische als die dritte Religionsgemeinschaft der türkischen Muslime, die in Hingabe und Askese lebten.

Der erste Engländer, der den Orden der tanzenden Derwische und ihre Tanzzeremonie erwähnte, war der geografische Herausgeber und Kompilator Samuel Purchas, der paradoxerweise nur ein Pantoffelreisender war. 1626, Pilgrimes: „Ein Orden der Derwische, die sich in ihren Gottesdiensten zur Musik im Kreise drehen.“

Zu den berühmtesten Zeilen Rumis, die er in seiner Einladung zu einer Sema-Zeremonie schrieb, gehören die folgenden:

Wer immer du sein mögest, komm

Mögest du auch

Ein Ungläubiger, ein Heide, oder ein Feueranbeter sein, komm

Unsere Bruderschaft ist keine der Hoffnungslosigkeit

Magst du deine Gelübde der Reue und Buße

Auch hundertmal gebrochen haben, komm.

Wir alle sind eingeladen, an der Sema-Zeremonie teilzuhaben (traditionell können nur Männer am Tanz der Derwische teilnehmen, aber das beginnt sich gerade zu ändern) – einer Harmonie der Musik (traditionell meist Tamburin, Glöckchen, Flöten), der Poesie und des Tanzes (Drehen entgegen dem Uhrzeigersinn, mit zum Himmel erhobenen Armen), welche die mystische Reise der spirituellen Erhebung des Menschen zu Perfektion und Ekstase durch den Geist und die Liebe begleiten.