21.05.2019

Frühling

Frühling – Wort des Tages – EVS Translations

Frühling lässt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

—  Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist’s!

Dich hab’ ich vernommen!

-Eduard Mörike, Er ist’s (1829)

 

Ende März/Anfang April (in der nördlichen Hemisphäre zumindest), wenn die Knospen an den Bäumen zu sprießen begonnen, die Blumen ihre Köpfe aus der Erde stecken und das Gras wieder grün wird, macht sich selbst der größte Winterfan wieder bereit für wärmere Temperaturen und eine kleine Pause von Schnee und Eis. Man kann die Bedeutung des Frühlings gar nicht genug hervorheben, der früher als Einleitung eines neuen Jahres angesehen und heute eher als Beginn der Anbausaison genommen wird (selbst, wenn es für einen persönlich nur eine kurze Verschnaufpause zwischen klirrender Winterkälte und drückender Sommerhitze bedeutet). Als Zeit der Erneuerung, des Wachsens und Erblühens hat der Frühling für uns alle eine Bedeutung (selbst, wenn es nur als Zeit des Frühjahrsputzes und Reifenwechselns ist). Doch verbergen sich darin bestimmte Facetten des Wachstums, die uns heute kaum noch bekannt sind.

Der Begriff Frühling selbst ist in seiner heutigen Bedeutung noch ein relativer Neuzugang in der deutschen Sprache: Bevor es seinen Einzug hielt, wurde für die dem Winter folgende Jahreszeit das Wort Lenz verwendet. Dieses leitet sich vom althochdeutschen lenzo (um ca. 1000) ab, der substantivierten Form des Adjektivs lanc (lang). Dieser Verwendung des Wortes liegt der Umstand der sich während dieses Zeitraums verlängernden Tage zugrunde.

Seit dem 15. Jahrhundert wurde das Wort „Lenz“ durch das neu aufkommende Wort „Frühling“ vor allem durch seine Verwendung in der lutherischen Bibelübersetzung zusehends aus der Allgemeinsprache verdrängt und ist seit dem 18. Jahrhundert nur noch in dichterischer Sprache zu finden – so etwa bei Theodor Fontane, dem zufolge „Der Jugend nur / Jung wie die Natur / Gehöret im Lenze die Welt“ (1851), oder in eher popkultureller Prägung im Gassenhauer Veronika, der Lenz ist da (1930).

In älterer Sprache bezeichnete Frühling hingegen ein im Frühjahr geborenes Tierjunges. Der evangelische Theologe Christoph Pelargus hebt in seiner Schrift Werck vnd Kennezeichen der außerwehlten vnd Kinder Gottes (1603) mit diesem Begriff den Unschuldsaspekt des Lammes als christliches Symbol für Jesu Reinheit hervor, wenn er davon spricht, wie sich die Menschheit durch das Sakrament der Taufe in ein errettetes und ein verdammtes Lager aufteile: „Denn gleich wie der Altvater Jacob/ […] seine frülings Schefflein/ von den vntüchtigen Spetlingen vnterscheidet: Also thut auch Jacobs Sohn Christus/der will seine Herde vnd Schefflein von des leidigen vnd neidischen Labans oder Satans hauffen abgesondert haben.“

In Form der Bezeichnung für eine Jahreszeit erlangte das neu geprägte Wort Frühling in der Überleitung vom im Frühjahr geborenen Jungtier zur „Jugend“ des Jahres im Kontrast zum „Alter“ des Winters, der für den Rückgang und Verfall stand. Der Frühling war die Zeit des Jungen, Aktiven, und als Motiv des Erwachens, des Wachsens und der mit Jugend verbundenen neuen Hoffnung etablierte sich der Frühling als Begriff und Konzept in der Literatur der deutschen Klassik, so etwa bei Johann Wolfgang von Goethe im Osterspaziergang im Faust. Der Tragödie erster Teil (1808): „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick / Im Tale grünet Hoffnungsglück / Der alte Winter, in seiner Schwäche, /Zog sich in rauhe Berge zurück“.

Doch nicht nur das Erwachen der Natur hat die Assoziationen des Frühlings geprägt. Die deutsche Romantik brachte das Blühen und Erblühen des Frühlings mit dem Knospen romantischer Gefühle in Verbindung – so etwa in der bereits in Bezug auf den Lenz erwähnten Textstelle von Theodor Fontane oder in Joseph von Eichendorffs Gedicht Frühlingsnacht (1837), in dem der anschwellende Frühling Anklänge zärtlicher Verbundenheit transportiert: „Übern Garten durch die Lüfte / Hört ich Wandervögel ziehn, / Das bedeutet Frühlingsdüfte, / Unten fängt’s schon an zu blühn. / Jauchzen möcht ich, möchte weinen, / Ist mir’s doch, als könnt’s nicht sein! / Alte Wunder wieder scheinen / Mit dem Mondesglanz herein. / Und der Mond, die Sterne sagen’s, / Und in Träumen rauscht’s der Hain, / Und die Nachtigallen schlagen’s: / Sie ist Deine, sie ist dein!“

Viele von uns haben möglicherweise den Frühling ihres Lebens bereits lange hinter sich (oder fühlen sich vielleicht einfach gerade nur so). Umso mehr sollten wir, für uns selbst, aber auch und besonders in Begleitung eines geliebten Menschen, die Schönheit der neu aufkeimenden Natur und die Wiedergeburt aller Dinge um uns herum bewundern und auch einmal einen Moment innehalten, um an den Blumen zu riechen … das heißt: Wenn es gerade nicht regnet. Und bevor es zu heiß wird.

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