16.07.2019

Libra

Libra – Wort des Tages – EVS Translations
Libra – Wort des Tages – EVS Translations

Bis vor einem Monat brachte man unser heutiges Wort meist mit der Astrologie in Verbindung. Aber wenn man dem Hype glauben kann, dann könnte es in der Welt der Finanzen und im Zahlungswesen schon bald ganz alltäglich sein. Hier geht es natürlich (falls es nicht eine Münze namens Schütze gibt, von der wir noch nichts wissen) um die Kryptowährung Libra, wobei der Name erst im vergangenen Monat verkündet wurde, Konzeptualisierung und Entwicklung aber bereits seit gut einem Jahr laufen. Bevor man nun an einen neuen Bitcoin oder Ethereum denkt, muss man wissen, dass die Libra in vielerlei Hinsicht anders sein wird. Aber bevor wir uns ausführlich mit der Kryptowährung befassen, wollen wir zunächst einen genaueren Blick auf das Wort werfen.

Bei den Tierkreiszeichen wird das Wort häufig durch eine Waage symbolisiert und geht eigentlich zurück auf die Waage der Gerechtigkeit, gehalten von der griechischen Göttin der Gerechtigkeit, Themis, die man mit dem göttlichen Gesetz und Recht assoziiert und die Vorbild für Justitia war. Die Waage spielte stets eine Rolle in Zusammenhang mit Maßen und der Bewertung von Dingen. Möglicherweise versteht man den Zusammenhang zur Waage nicht sofort, er ist aber bei näherer Betrachtung einleuchtend, denn ursprünglich reicht der Begriff – lateinisch (von proto-italisch), mit der Bedeutung ‚Ausgewogenheit oder Waage‘ –bis ins alte Rom zurück, wo das Standardmaß der Libra dem heutigen Gegenwert von 11,6 Unzen oder 328,9 Gramm entsprach. Und natürlich ist der Begriff auch Ursprung der Abkürzung für das imperiale und amerikanische Gewicht (lb oder LB) und für die britische Währungseinheit (£), die man ursprünglich aus einem Pfund Silber geprägt hat.

Interessanterweise stammt der Begriff sowohl als Bezeichnung für das Gewichtsmaß als auch für das Tierkreiszeichen im Englischen ursprünglich aus demselben Werk, nämlich aus der Übersetzung von Bartholomew de Glanvilles De Proprietatibus Rerum (Über die Ordnung der Dinge) des aus Cornwall stammenden Schriftstellers und Übersetzers John Trevisa aus dem Jahr 1398; das Werk selbst entstand etwa im Jahr 1240. Trevisa stellte fest, dass es sich um ein römisches Maß handelt und bemerkt: „Twelve ounces makes Libra and is therefore accounted a perfect weight“. An einer anderen Stelle des Werks, wo es um das am 23. September beginnende siebte Tierkreiszeichen geht, entschlüsselt Trevisa de Glanville mit folgendem Satz: “The sign that heightens Libra in manners body rules the nether guts of the womb.” Das heißt, vereinfacht ausgedrückt, dass der Gebrauch des Begriffs für das Gewichtsmaß zwar bald durch andere Systeme (imperial, metrisch usw.) abgelöst wurde, man ihn jedoch immer häufiger für das Tierkreiszeichen verwendete. Heute schreibt man die Gemeinsamkeiten des Tierkreiszeichens Waage traditionell den Menschen zu, die unter diesem Zeichen geboren sind, beispielsweise in dem Buch von Vin Packer von 1969 Don’t rely on Gemini, in dem darauf hingewiesen wird, dass „Frau Muckermann Waage ist.“ („Mrs. Muckermann is a Libra“)

Und so hat nun der Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg, (übrigens ein Stier) angekündigt, dass der Vice President von Facebook, David A. Marcus (seines Zeichens Widder) ab Mai 2018 Leiter eines neuen Blockchain-Teams werden solle mit dem Ziel, eine Kryptowährung zu schaffen, der man erst im vergangenen Monat den Namen Libra gab. In diesem Zusammenhang entstand der Name einerseits mit dem Gedanken an ein standardisiertes Gewichtsmaß, andererseits aber auch in Anlehnung an den französischen Stamm Lib- (wie in liberté, Freiheit), um damit an eine gewisse Freiheit des Finanzsystems zu appellieren, denn das soll Grundlage der neuen Währung sein.

Dahinter steckt natürlich nicht nur ein auf die Facebook-Umgebung beschränktes Social Media Token (Facebook hat stolze 2,375 Milliarden Nutzer vorzuweisen), sondern der Gedanke, den schätzungsweise 1,7 Mrd. Menschen weltweit, die kein Bankkonto besitzen, alternative Finanzdienste (abseits der traditionellen Banken) anzubieten. Es geht hier auch nicht um ein unternehmerisches Vorhaben im Sinne von “Facebook first”: die Herrschaft und Kontrolle über das Projekt soll die Libra Association erhalten, bei der sich bereits Namen wie Mastercard, Visa, PayPal, Vodafone, Coinbase, Uber and Kiva finden, d. h. sie haben die Aufsicht über ein breites Spektrum.

Ziel ist letztlich der Aufbau einer stabilen Kryptowährung, mit der Transaktionen schneller und kostengünstiger möglich sind und die sich in eine Präsenz in den sozialen Medien einbinden lässt. Aufgrund der Stabilität, oder vielmehr der fehlenden Volatilität, werden die täglichen Transaktionen vereinfacht, gestützt durch einen Währungskorb aus globalen Währungen und US-Schatzpapieren. Mit einer speziellen Blockchain (Libra Blockchain), die 1.000 Transaktionen pro Sekunde verarbeiten kann, stellt sie Bitcoin mit 7 Transaktionen pro Sekunde oder auch Ethereum mit 15 Transaktionen pro Sekunde leicht in den Schatten. Schnelligkeit und Kostensenkung stehen also im Mittelpunkt. Und da sich die meisten von uns sowieso in den sozialen Medien tummeln, macht es auch Sinn, diese Präsenz für das zu nutzen, was wir alle tun müssen – Geld bewegen und Dinge kaufen.

Im Idealfall klingt das nach einer guten Idee. Aber wegen des allgemeinen Datenschutzes (nicht nur bei Facebook und anderen sozialen Medien), einer möglichen regulatorischen Reaktion der Behörden, Sicherheitsbedenken und der Tatsache, dass die Kryptowährung nur zum Teil dezentralisiert ist, gibt es sicher eine Reihe potentieller Hürden zu überwinden. In diesem Sinne ist der Name Libra sicherlich passend, denn vieles muss bei diesem Projekt noch austariert werden.