11.06.2019

Mumie

Mumie - Wort des Tages - EVS Translations
Mumie – Wort des Tages – EVS Translations

Erst kürzlich konnten Fernsehzuschauer aus 95 Ländern in aller Welt in der Sondersendung Expedition Unknown: Egypt Live des Discovery Channel drei von ihnen entdecken. Ganz gleich, ob Sie ein Fan der ägyptischen Geschichte, der Antike insgesamt, des Horrorfilms der Boris-Karloff-Ära oder von Flüchen sind – es ist in jedem Fall ziemlich unwahrscheinlich, dass Ihnen das heutige Wort zum ersten Mal unterkommt. Der Begriff Mumie ist inzwischen fester Bestandteil unserer Populärkultur. Doch es steckt noch weitaus mehr dahinter: Lesen Sie weiter und Sie erfahren Dinge über Mumien, die Ihnen vermutlich nicht bekannt waren, etwa ihre Beziehung zu Wachs, ihre Verbindung zur Medizin … und eine ganz besondere Form des Kannibalismus.

Während die allgemein geläufige Bedeutung des Begriffs Mumie sich auf die in Bandagen eingewickelten Leiber verstorbener Pharaonen bezieht, stammt sie tatsächlich von einem speziellen Detail des Mumifizierungsvorgangs ab. Der Begriff fand über das lateinische Wort mummia in der Medizinsprache des 16. Jahrhunderts und vermutlich noch etwas früher seinen Einzug ins Deutsche. Dieses Wort ist seinerseits vom arabischen mumiyah abgeleitet, das „einbalsamierter Leichnam“ bedeutet. Dieses Lehnwort aus dem Persischen beschrieb in der Originalbedeutung eine „harzige Masse“ (dem Wortstamm mum nach, der „Wachs“ oder „Harz“ bedeutet). Damit kann einerseits die aus in der Sonne verwesenden Mumien ausfließende schwarze Flüssigkeit gemeint sein, andererseits aber auch Erdpech bzw. Asphalt oder Bitumen. Wie kommt es nun dazu, dass ein Begriff für Wachs und Asphalt mit einem einbalsamierten Leichnam gleichgesetzt wird? Die Antwort liegt im Prozess der Einbalsamierung: Bei den Einschnitten, mit denen die Organe aus dem Leib entnommen wurden, sowie zur Fixierung der 20 Lagen Leinen, mit denen der Körper umwickelt wurde, wurde eine Art Wachs zur Abdichtung verwendet – das besagte mum oder mumyia.

Erste schriftliche Erwähnungen des Begriffs mum[m]ia in der deutschen Sprache beziehen sich auf die Verwendung des Wortes als Bezeichnung für seit dem 12. Jahrhundert aus dem arabischen Raum nach Europa importiertes Erdpech: In Gallus Etschenreuters Bäder (1571), einem medizinischen Lehrwerk, wird angegeben, dass Vitriol, „ein saltzig mineral/ von dem kupfferwasser/ od küpfferigen erden gesotten“, in Verbindung mit mumia „ist gut […] dem podegram“, einer am großen Zeh entstehenden Ausprägung der Gicht. In der deutschen Medizin- und Apothekersprache blieb dieser Begriff bis ins 19. Jahrhundert geläufig … wobei er allerdings nicht nur Erdpech bezeichnete. Doch mit der tatsächlichen medizinischen Verwendung und der Einnahme von Mumien (ja, Sie haben ganz richtig gelesen: Menschen haben Mumien konsumiert!) befassen wir uns gleich.

Wie heute auch übten die ägyptischen Mumien schon in früherer Zeit eine große Faszination auf die Menschen aus und stellten neben den Bauwerken, die sie beherbergten, Reiseziele für Interessierte dar. So erwähnt Bernhard Walter in seiner Beschreibung Einer Reiß auß Teutschland biß in das gelobte Landt Palæstina (1609) in diesem Zusammenhang nicht nur die Mumien als ein Reiseziel, sondern auch die dafür erforderliche Vorbereitung: „Dieweil es aber zu obuermeldten Pyramiden vnnd Mumien zuraisen etlicher massen der Arabier halben/ vnsicher/ so ist zu solchem fürhaben von nöhten/ daß einer mit Püchsen vnd Säbeln/ auch mit zween Jänitscharen/ sambt acht oder zehen bekandten/ vnd bewöhrten Mohren versehen sey […].“

Mit der Zeit scheint sich dieser Gebrauch des Wortes „Mumie“ außerhalb der medizinischen Verwendung verbreitet zu haben – und mit ihm vermutlich auch die Übertragung der medizinischen Eigenschaften des Mumia auf die ägyptischen Mumien. Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen beschreibt in der 1669 veröffentlichten Continuatio seines bekannten Schelmenromans Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch ein Ziel seines Helden Simplicius während seines erzwungenen Aufenthaltes in der Stadt Alkayer folgendermaßen: „[…] unter andern war jenseit deß Nili ein Ort da man die Mumia gräbt/ das besichtigt ich etlich mal/ item an einem Ort die beyde Pyramides Pharaonis und Rodope; machte mir auch den Weeg dahin so gemein/ das ich frembde unkennlich alleinig dahin führn dorffte; aber es gelung mir zum lesten mal nit beim besten; dann als ich einsmals mit etlichen zu den Egyptischen Gräbern gieng/ Mumia zuhollen […]“. Völlig unklar ist hier, von welcher Art mumia, nach der gegraben wird, Grimmelshausen hier berichtet: Dem Erdpech oder, wie die Nähe der Pyramiden und der „Gräber“ nahelegt, den tatsächlichen einbalsamierten Leichen. Beides wäre ein Zeichen dafür, dass Simplicius Kontakt zu zweierlei unterschiedlichen Arten des florierenden Handels hatte.

Die medizinische Verwendung tatsächlicher Mumien zu Grimmelshausens Zeiten ist nämlich belegt – und ein Bestandteil der ab der Renaissance auftretenden europäischen „Mumienmanie“, der auch gut in einem Horrorfilm der Schwarzweiß-Ära seinen Platz finden könnte. Man schrieb erst den aus Mumien austretenden Säften (die bereits erwähnte harzige Masse namens mum), später aber den toten Leibern selbst heilsame Wirkung zu und hielt Patienten dazu an, sie in flüssiger oder Pulverform zu sich zu nehmen. Dies führte dazu, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt im Mittelmeerraum der Handel mit echten ausgegrabenen und gefälschten „frischen“ Mumien florierte, die nicht nur an interessierte Hobbyhistoriker, sondern als medizinische Ingredienz an Apotheker und an Färber als „Mumienbraun“ ausgeliefert wurden. Gottfried Burckhard liefert in seinem Werk Himmlische Johanna Elisabeth (1673) Belege für die medizinische Verwendung von Mumien und der zu ihrer Konservierung verwendeten Mittel: „Man [Anmerkung: Die Medizin] hält heutiges Tages viel auff die balsamirten Mumien/ weil Aloe/ Myrrhen/ Saffran/ Ceder-Safft/ wieder die Verwesung/ und hernach zur Artzney dienet.“ Burckhard leitet aus der medizinischen Verwendung der Mumien, also menschlichen Fleisches, einen verstörend buchstäblichen Bezug zur Eucharistie ab und erklärt Jesus, der seinen Leib den Menschen zur eigentlich spirituellen Nahrung gegeben hat, damit zur wohl heiligsten Mumie der Welt: „Die edelste/ und kräfftigste Mumia ist Christi Fleisch/ das giebt das Leben der Welt.“

Glücklicherweise wird den drei jüngst in der als Al-Ghorifa bekannten ägyptischen Grabstätte entdeckten Mumien wohl der eher „traditionelle“ Weg zum Ruhm beschieden sein, sodass sie (hoffentlich) nicht Gefahr laufen, einen Abstecher in den Erlenmeyerkolben eines Apothekers machen zu müssen.