12.12.2018

Zauber

Zauber – Wort des Tages – EVS Translations
Zauber – Wort des Tages – EVS Translations

In dieser Zeit des Jahres liegt etwas Besonderes in der Luft. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund neigen die Menschen dazu, fröhlicher, großzügiger, fürsorglicher und geselliger zu sein. Für Christen ist sie die Verkörperung dessen, was im Bibelvers Lukas 2:14 als „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ bezeichnet wird. Über die Feiertage hinaus hoffen Kinder, einen Blick auf Anna Ritters verstohlenes Christkind mit seinem „Mützchen voll Schnee“ und seinem großen Sack voller schöner Dinge zu erhaschen. Der Zauber der Weihnachtszeit ist wirklich ein spürbares Gefühl – doch woher stammt das Wort „Zauber“ eigentlich?

Die Wurzel des Wortes liegt im althochdeutschen Wort zoubar, das sich bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und ganz allgemein magische Handlungen beschreibt – Zeremonien, mit deren Hilfe übernatürliche Kräfte angerufen und manipuliert oder günstig gestimmt werden sollten. Derartige Praktiken waren im Europa des frühen, aufstrebenden Christentums weit verbreitet und wurden in dessen Frühphase und insbesondere im Hochmittelalter intensiv bekämpft.

Dennoch entstanden aus der Wechselwirkung zwischen dem Christentum und dem Volksglauben – teils aus religionspolitischen Gründen – eigene Rituale, die nach und nach auch in die moderne christliche Praxis eingeflossen sind. So entspricht der Heiligabend des gregorianischen Kalenders dem am 25. Dezember stattfindenden römischen Fest des Sol Invictus, des unbesiegbaren Sonnengottes. Zu dessen Ehren wurden an diesem Tag Lichter entzündet, die heute den im 18. Jahrhundert populär gemachten Weihnachtsbaum schmücken – seinerseits eine Abwandlung immergrüner Pflanzen, die in heidnischen Ritualen Fruchtbarkeit verkörperten.

Doch nicht nur Daten und Bräuche der Kirche wurden durch die Einflüsse des Volksglaubens an Zauber beeinflusst. Auch in der christlichen Gesellschaft hielt sich hartnäckig der Glaube an „gute“, christliche Magie, was populäre Figuren wie der Gelehrte und praktizierende christliche Magier Dr. John Dee belegen. So unterschied beispielsweise schon der scholastische Philosoph Wilhelm von Auvergne (1180–1249) zwischen vom Teufel ermöglichtem Schadenzauber und einer durch Gott verliehenen magia naturalis. Doch selbst anerkannte christliche Rituale waren nicht frei von der Anschuldigung, schadhaftes Zauberwerk zu sein. So wurde beispielsweise bereits 694 auf der 17. Synode von Toledo die durchaus gebräuchliche Totenmesse für lebende Personen als schädliche Beschwörung verboten. Auch der Exorzismus bei der Taufe, der böse Einflüsse vom Täufling fernhalten und sich einnistende böse Geister fernhalten sollte, wurde offenbar noch während der Reformation von manchen Vertretern christlichen Glaubens „für ein Heillose / Abschewliche / Zauber Ceremonien“ gehalten, wie Polykarp Leysers Schrift Christliches Bedencken, was von dem Exorcismo bey der Tauff, und abschaffung desselben zu halten sey von 1591 belegt.

Weniger mit der Manipulation übernatürlicher Kräfte, sondern vielmehr mit dem oft unerklärlich wirkenden Fluss menschlicher Emotionen hängt eine zweite Bedeutung des Wortes zusammen, mit der wir das Thema der menschlichen Liebe und den Zauber der Weihnacht streifen: Das bis ins 9. Jahrhundert zurückreichende althochdeutsche Wort bizoubarōn drückt einen Reiz, ein Entzücken oder eine Begeisterung aus, die ein Ereignis, eine Sache oder, häufiger, eine Person auf einen Menschen ausübt. So beschreibt Lord Derby in Sophie von La Roches Briefroman Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771) die Verlockung seiner angebeteten Lady Sophie, deren Zurückhaltung quasi magische Anziehungskraft auf ihn ausübt, wenn sie „mit allem Zauber der jungfräulichen Schamhaftigkeit“ ihre Augen niederschlägt und seine romantischen Gefühle in Wallung bringt.

Darf man wortwörtlich vom Zauber der Weihnachtszeit sprechen? Für die meisten von uns dürfte ziemlich sicher sein, dass hier keine unerfindliche magische Manipulation vorliegt – vom durch Werbung befeuerten, ungezügelten Konsumverhalten der hektischen Weihnachtsshopper einmal abgesehen. Das kann es also nicht sein. Ähnlicher ist es doch dem unverkennbar warmen Gefühl, das sich in uns ausbreitet, wenn wir etwas Gutes tun oder einen geliebten Menschen betrachten. Und ganz gleich, woher es auch kommen mag: Lassen wir uns davon anstecken und genießen es gemeinsam.