18.08.2020

Glottophobie/Linguizismus

Glottophobie/Linguizismus – Wort des Tages – EVS Translations
Glottophobie/Linguizismus – Wort des Tages – EVS Translations

In Großbritannien könnten es „Geordies“ (Menschen aus der Umgebung von Newcaste upon Tyne) oder Menschen aus den Midlands im Allgemeinen sein, in Deutschland Menschen aus Bayern und in den USA könnte es sich um Menschen aus dem Mittleren Westen, den Südstaaten oder der Appalachenregion handeln. Wenn man aus Ohio ist, kann es sogar Hinweise darauf geben, aus welchem Teil des Bundesstaates man kommt. Unser Thema ist hier natürlich die Sprache, aber es geht vielmehr um die Unterschiede in der Sprache.

Im Wesentlichen ein Spiegelbild der Handlung des Musicals My Fair Lady sagt die Art und Weise, wie wir sprechen, viel darüber aus, wer wir sind, woher wir stammen und was wir sind. Außerhalb der Unterhaltungsbranche kann und hat diese Art von linguistischer Diskriminierung jedoch zu Nachteilen für die Sprechenden geführt.

Der französische Begriff Glottophobie (zu Deutsch: Linguizismus) wurde erstmalig von den französischen Soziolinguisten Arditty Jo und Philippe Blanchet in ihrer wissenschaftlichen Arbeit aus dem Jahr 2008 mit dem Titel La “mauvaise langue” des “ghettos linguistiques” : la glottophobie française, une xénophobie qui s’ignore (Die „schlechte Sprache“ der „linguistischen Ghettos“, französischer Linguizismus, eine ignorierte Xenophobie) verwendet und ist definiert als: „Verachtung, Hass, Aggression und damit generelle Ablehnung von Menschen, die tatsächlich oder angeblich auf der Tatsache beruht, dass bestimmte sprachliche Ausdrucksformen (wie Sprachen, Dialekte oder Verwendung von Sprachen), die von diesen Menschen verwendet werden, als falsch, minderwertig oder schlecht betrachtet werden, wobei der Fokus im Allgemeinen auf den sprachlichen Ausdrucksformen liegt, ohne sich den vollen Auswirkungen, die dies auf die Menschen hat, bewusst zu sein“. Von den Verfassern dieser wissenschaftlichen Arbeit wird dies als eine Form der Alterophobie/Heterophobie klassifiziert, wobei es sich um „Verachtung, Hass, Aggression und Ablehnung von Menschen aufgrund ihrer Andersartigkeit“ handelt – beim Linguizismus kommt die Sprache als Diskriminationsfaktor hinzu.

Glottophobie, der französische Begriff für Linguizismus, verwendet das wortbildende Element aus dem Altgriechischen phobos, das „Furcht, panische Angst, Entsetzen, nach außen gezeigte Angst; Objekt der Angst oder des Grauens“ bedeutet; da es jedoch im Französischen den Begriff „Glossophobie“ (zu Deutsch: Logophobie oder Sprechangst) – die Angst davor, in der Öffentlichkeit zu sprechen (wörtlich: „die Angst der Zunge“) – bereits gibt, verwendeten die Autoren eine alternative Form von „glosso-“, „glotto-“. Aber die verächtlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf eine Person basierend auf ihrer Sprechweise werden auch mit dem Präfix „glotto-“ recht gut vermittelt.

Unser vor weniger als einem Jahrzehnt geprägter Begriff geriet zunächst aufgrund der politischen Situation und des Medieninteresses in die nationalen Schlagzeilen. Während der turbulenten Präsidentschaftswahl in Frankreich im Jahr 2017 verbreite sich ein Video mit dem Vorsitzenden der linken Partei, Jean-Luc Mélenchon, wie ein Lauffeuer in den Medien. In diesem Video parodiert er eine Journalistin, indem er ihren südwestfranzösichen Akzent nachäfft und sich dann dem Publikum zuwendet und fragt: „Hat noch jemand eine Frage in mehr oder weniger verständlichem Französisch?“. Dieser Vorfall führte dazu, dass das Thema der linguistischen Diskriminierung im nächsten Jahr im französischen Parlament diskutiert wurde und die Abgeordnete der Nationalversammlung Laetitia Avia einen Gesetzesentwurf vorlegte, in dem linguistische Diskriminierung zusammen mit anderen Formen der Diskriminierung genannt wird. Am 18. Oktober 2018 postete sie auf ihrem Twitter Account: „Spricht man schlechtes Französisch, wenn man einen Akzent hat? Müssen Menschen Erniedrigungen hinnehmen, weil sie nicht die Standardaussprache verwenden?”

Der Gesetzesentwurf wurde zwar auf Eis gelegt, dennoch wirft das Thema viele berechtigte Fragen auf. Beispielsweise welche spezifischen Akzente können und sollten als nachteilig angesehen werden und wann? An welchem Punkt kann eine Diskriminierung aufgrund des Akzents, und ausschließlich aufgrund des Akzents, nachgewiesen werden? Und schließlich, wie können wir uns davor schützen? Wir alle wissen, dass die Beherrschung einer Sprache befreiend sein kann, wenn wir es zulassen, kann sie uns aber auch einschränken.