30.03.2020

Social Distancing

Social Distancing – Wort des Tages – EVS Translations
Social Distancing – Wort des Tages – EVS Translations

In den letzten Jahren hat das Ziel, Menschen zusammenzubringen und etwas zum Allgemeinwohl beizutragen, viele gute Dinge hervorgebracht. Derzeit jedoch kommt es, ebenfalls zum Wohle der Allgemeinheit, darauf an, Abstand zueinander zu halten. „Social Distancing“ ist vielleicht das weitreichendste Konzept, das aus der Coronavirus-Krise hervorgeht, hat es doch in den vergangenen Monaten so viele Menschen weltweit erreicht.

Allgemein definiert, bezeichnet Social Distancing das Einnehmen einer größeren physischen Distanz zu anderen Menschen als üblich oder, falls möglich, die Vermeidung des Kontakts zu Menschen und Gegenständen an öffentlichen Orten, um die Exposition gegenüber einer Infektionskrankheit auf ein Minimum zu reduzieren und damit potenziell ihre Verbreitung zu verhindern.

Bricht man den Begriff in seine Bestandteile auf, so erhält man zwei eigentlich widerstreitende Konzepte – sozial und Distanz. Der Begriff sozial leitet sich vom lateinischen Wort socialis ab, welches „kameradschaftlich, gemeinschaftlich, gesellig“ bedeutet. Ein früher Textbeleg in der deutschen Sprache findet sich im naturwissenschaftlichen Kontext in Johann Friedrich Blumenbachs Handbuch der Naturgeschichte von 1779, wo dieser mit Verweis auf den Philosophen Thomas Hobbes den Menschen als grundlegend geselliges Tier beschreibt: „Diese natürliche Blösse von der einen Seite, und die vielfachen Bedürfnisse von der andern, machen den Menschen zum geselligen Thiere, so daß Hobbes den blossen Nothzwang für die einzige Triebfeder annehmen durfte, wodurch der Mensch, so wie die Bienen und Ameisen durch ihren Instinct, zur socialen Verbindung gedrungen würde.“ Distanz wurde im 15. Jahrhundert aus dem gleichbedeutenden lateinischen Wort distantia, „Abstand“, entlehnt, bei dem es sich seinerseits um ein Abstraktum des Verbs distare handelt, welches „voneinander wegstehen, entfernt sein“ bedeutet. Ein früher Textbeleg von Timotheus Kirchner in der Histori deß Sacramentstreis von 1591 befasst sich mit der angenommenen Nichtigkeit konzeptueller oder tatsächlich räumlicher Entfernung zwischen Himmel- und Erdenreich in Bezug auf das christliche Abendmahl: „Wir sagen das kein distantz der örter die Communion des leibs vnd bluts Christi hindern könne / denn das Abendmal ist eine himlische handlung […].“

Der Begriff, der heute in erster Linie mit Krankheit assoziiert wird, stammt ursprünglich aus einem verwaltungswissenschaftlichen Kontext und kann erstmals in einem Artikel in Administrative Science Quarterly vom 1. September 2003 mit dem Titel „Keeping Directors in Line: Social Distancing as a Control Mechanism in the Corporate Elite“ nachgewiesen werden. Darin untersuchen James D. Westphal und Poonam Khanna, wie Unternehmenseliten selbstbegrenzendem Druck von Stakeholdern standhalten können. 2003 war allerdings auch das Jahr, in dem das SARS-Coronavirus ausbrach. Im Folgejahr 2004 wurde ein abgeleiteter Begriff erstmals im medizinischen Kontext verwendet: In ihrem in Emerging Infectious Diseases, dem Fachblatt des Center for Disease Control and Prevention, erschienenen Artikel beschreiben David M. Bell und die World Health Organization Working Group on Prevention of International and Community Transmission of SARS Social-Distancing-Maßnahmen wie folgt: „Maßnahmen zur Vergrößerung der sozialen Distanz, z. B. das Absagen von Massenveranstaltungen, Schließungen von Schulen, Theatern und öffentlichen Gebäuden sowie eine Maskenpflicht für sämtliche Personen, die die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, in Restaurants arbeiten oder Krankenhäuser betreten wollen, wurden in Regionen eingesetzt, in denen eine umfangreiche, nicht nachvollziehbare Übertragung des SARS-Coronavirus (SARS-CoV) von Mensch zu Mensch befürchtet wurde.“ *

17 Jahre später gilt Social Distancing im Sinne der Vermeidung von Gruppenbildung im öffentlichen Raum und der Wahrung eines Mindestabstands zwischen Personen von mindestens ein bis zwei Metern / drei bis sechs Fuß (je nachdem, ob man die WHO- oder CDC-Richtlinien befolgt) als grundlegende Schutzmaßnahme. Hintergrund dieser Maßnahme ist die Tatsache, dass sich das Coronavirus per Tröpfcheninfektion in der Luft verbreiten kann. Durch die Vermeidung physischer Nähe soll also die Infektionsgefahr für und durch andere Personen eingeschränkt und so die epidemische Verlaufskurve abgesenkt werden – ein Konzept, das derzeit unter dem Schlagwort „flatten the curve“ breite Bekanntheit findet.

Die Forschung hat gezeigt, dass diese Maßnahmen begründet und erfolgreich sind. Sie sind allerdings auch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden: Wenn soziale Wesen dazu aufgefordert werden, sich im Grunde antisozial zu verhalten, kann das bei ihnen schnell Gefühle wie Stress, Angst und Depressionen verstärken. Wie bereits von mehreren Seiten kommentiert wurde, sind wir nun ausgerechnet zu einer Zeit, in der wir uns die Geborgenheit unserer Familie, Freunde und sozialen Kontakte wünschen, alle gehalten, auf Abstand zueinander zu gehen. Doch es gibt auch einen tröstenden Gedanken: Wir stehen dies alle gemeinsam durch!