10.02.2020

Zwei unterschiedliche Persönlichkeiten – das Resultat eines Lebens im Ausland?

Unterschiedliche Persönlichkeiten – Resultat eines Lebens im Ausland?
Unterschiedliche Persönlichkeiten – Resultat eines Lebens im Ausland?

Es gibt Menschen, die in einem anderen Land als ihre Eltern geboren wurden und niemals dieselbe Verbindung wie ihre Eltern zu ihrer Heimat gespürt haben. Dann gibt es Menschen, die später ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten oder zu studieren. Und es gibt diejenigen, die aus Liebe in ein fremdes Land ziehen. Alle diese Menschen haben unterschiedliche Geschichten, unterschiedliche Identitäten. Jeder, der in zwei verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist, weiß, wie schwierig das sein kann und wie fragil eine Identität tatsächlich ist.

Cecilia, Marketing Assistant bei EVS Translations Atlanta, hat ähnliche und zugleich vollkommen andere Erfahrungen gemacht: „Ich wurde in Hamburg geboren und wuchs dort auch auf. Meine ganze Kindheit spielte sich dort ab. Nur ein einziges Mal zog ich um, und mein neues Zuhause lag gerade mal eine Straße weiter! In meiner Verwandtschaft gibt es niemanden, der aus Deutschland ausgewandert ist, die USA scheinen vor diesem Hintergrund nahezu undenkbar. Tatsächlich ist meine Familie tief in Hamburg verwurzelt. Mein Großvater war ein erfolgreicher Architekt, der zwei bekannte Gebäude in der Stadt errichtet hat, und mein Ururgroßvater war drei Jahre lang der zweite Bürgermeister der Stadt. Ich liebe Hamburg! Die riesige Stadt an der Elbe mit ihrer modernen Innenstadt direkt neben dem beeindruckenden Rathaus ist wunderschön, aber ich wusste schon immer, dass ich nicht dort bleiben werde.“

Wie können externe Aspekte die Persönlichkeit beeinflussen?

„Mit 15 verließ ich Hamburg, um die letzten zwei Jahre meiner Schulzeit an einer Highschool in Pennsylvania zu verbringen. Ich war so begeistert, Deutschland den Rücken zu kehren und so viel Zeit in dem Land zu verbringen, das schon immer mein Lieblingsurlaubsziel war, dass es keinen einzigen Moment des Heimwehs für mich gab. Meine Zeit im Ausland hatte einen interessanten Effekt: Wir alle wissen, dass 15 ein schwieriges Alter ist. Man ist gerade in der neunten oder zehnten Klasse, die Pubertät ist in vollem Gange und man findet sich langsam in einem trotzdem immer noch komplizierten Leben zurecht. Gleichzeitig wird man allmählich auch erwachsen. Man beginnt, die Welt um sich herum wirklich wahrzunehmen, und lernt, dass andere Menschen auch Gefühle haben und ein eigenes Leben führen. Da ich diese prägenden Jahre in den USA verbrachte, entwickelte ich auch eine etwas andere Persönlichkeit, die zu Tage trat, wenn ich Englisch sprach.

Das ist ein Phänomen, das bei vielen mehrsprachigen Personen auftritt, weil häufig jede einzelne Sprache mit einem anderen Aspekt des Selbst verbunden wird. Vielleicht spricht man daheim als braves, wohlerzogenes Kind mit den Eltern Französisch, aber beim Ausgehen mit Freunden und bei neuen Erlebnissen spricht man Englisch. Das Gehirn schafft auf dieser Grundlage unterschiedliche Verknüpfungen. Bei mir war es so, dass ich im Zuge dieser Phase des Erwachsenwerdens auf Englisch weitaus selbstbewusster wurde. Meine zwei Persönlichkeiten haben sich in der Zwischenzeit etwas angeglichen, aber damals war ich in Deutschland ein sehr schüchternes und unsicheres Mädchen. Hier, an meiner amerikanischen Highschool wurde ich von der Schule zum ‚Prefect‘ ernannt, war eine Einserschülerin und spielte Theater. Mein Selbstvertrauen war gewaltig, und ich fand es toll.“

Bringen unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale hervor?

„Ich erinnere mich daran, wie ich direkt nach Abschluss der Highschool eine Cousine besuchte, die als Austauschstudentin drei Monate in New York verbrachte. Sie ist mehrere Jahre älter als ich, und wir hatten nie eine besonders enge Beziehung, aber jetzt, als ich 17 war, gab es endlich Gemeinsamkeiten, auf deren Grundlage wir schnell eine echte Freundschaft aufbauten. Wir spazierten durch die Stadt, unterhielten uns auf Deutsch und kauften jede Menge coole Andenken. Interessanterweise sagte meine Cousine mir zwei Mal bei Gesprächen mit Ladenbesitzern auf Englisch: ‚Wow, du bist ganz schön frech!‘ Das habe ich auf Deutsch nie von ihr gehört. In dieser Zeit wurde mir auch klar, dass ich beim Wechseln der Sprache auch die Persönlichkeit wechsle.

Jetzt bin ich fast 24 Jahre alt und lebe seit ca. sieben Jahren in den USA. Zwei Jahre davon habe ich an der Highschool verbracht, vier an der Uni, und seit einem Jahr arbeite ich. Für meine Familie zu Hause bin ich natürlich ‚die Amerikanerin‘, was ich lustig finde, weil ich hier in den USA ‚die Deutsche‘ bin. Mein Freund bezeichnet mich als Amerikanerin, die Regierung der Vereinigten Staaten dürfte das aber vehement abstreiten. Mein Herz weiß, dass Hamburg meine Heimat ist, aber mittlerweile kenne ich die Straßen von Atlanta besser als die meiner Heimatstadt.“

Identität und Sprache – Wie eng sind sie wirklich miteinander verbunden?

„Identität ist schwer zu fassen; sie scheint fast von dem bestimmt zu sein, was ich nicht bin, statt von dem, was ich bin. Wie kann ich mit Überzeugung sagen „Das bin ich!“, wenn ich beim Wechsel zwischen zwei Sprachen kaum meine Persönlichkeit bewahren kann? Aber wie kann ich dann mit Überzeugung sagen „Das bin ich nicht!“, wenn ich für verschiedene Menschen verschiedene Dinge bin? Und warum sollten sie diejenigen sein, die meine Persönlichkeit bestimmen? Bin ich nicht die einzige, die bestimmt, wer ich bin? Und was bin ich? Oder ist Identität einfach etwas, über das wir nicht entscheiden können?

Vielleicht müssen wir uns verabschieden von dem Konzept einer Sache, die bestimmt, wer wir sind. Vielleicht ist es an der Zeit, uns mit der Dualität abzufinden, etwas zu sein und gleichzeitig etwas nicht zu sein. Es ist möglich, dass ich einfach nur Cecilia bin, die Videospiele und Popmusik mag und bei Disney-Filmen weinen muss. Möglicherweise ist das Reparieren von Fahrrädern nicht meine Stärke, und Zeichnen kann ich auch überhaupt nicht. Vielleicht bin ich all das nicht. Und vielleicht bin ich es doch.“

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Sind Sie zweisprachig aufgewachsen oder kennen Sie jemanden, der zweisprachig aufgewachsen ist? Wie hat sich das auf Ihre Persönlichkeit ausgewirkt? Können Sie einen klaren Unterschied erkennen? Warum hat sich Ihrer Meinung nach Ihre Persönlichkeit so entwickelt? Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen auf LinkedIn!